Sonntag, 28. Dezember 2008

Die bestickte Tischdecke - Wiedersehen macht Freude

Ein paar Wochen vor Weihnachten traten ein Pastor und seine Frau ihren ersten
Dienst an. Sie sollten eine Kirche am Rand von Brooklyn wieder eröffnen und
waren begeistert über die Möglichkeiten, die sich ihnen boten. Als sie die
Kirche in Augenschein nahmen, bemerkten sie, dass sie ziemlich heruntergekommen
war. Die Renovierung würde viel Arbeit abverlangen, doch die beiden nahmen sich
vor, bis zum ersten Gottesdienst an Heiligabend damit fertig zu werden.

Sie arbeiteten hart – reparierten die Sitzbänke, verputzten und strichen
Wände – und waren schließlich am 18. Dezember fertig. Ein Tag später
setzte ein heftiger Sturm ein, der zwei Tage anhielt und von starken
Regengüssen begleitet war. Am 21. Dezember fuhr der Pastor wieder zur Kirche.

Mit Schrecken stellte er fest, dass das Dach undicht geworden war und sich an
der Wand direkt hinter der Kanzel der Putz gelöst hatte. Eine große Lücke
entblößte genau in Augenhöhe das Mauerwerk. Der Pastor wischte den
zerbröckelten Putz weg und fuhr nach Hause. Ihm würde wohl nichts anderes
übrig bleiben, als den ersten Gottesdienst zu verschieben.

Auf dem Heimweg bemerkte er, dass eine örtlich Firma eine Art Flohmarkt für
Wohltätigkeitszwecke veranstaltete, und hielt an. Nach einiger Zeit fand er
eine besonders schöne handgefertigte, elfenbeinfarbene Tischdecke –
sorgfältig gearbeitet und in der Mitte mit einem Kreuz bestickt. Sie hatte
genau die richtige Größe, um die hässliche Stelle in der Wand zu
überdecken. Nachdem er sie gekauft hatte, kehrte er zur Kirche zurück.

Inzwischen hatte es angefangen zu schneien. Eine ältere Dame auf der andren
Straßenseite versuchte, gerade noch den Bus zu erreichen. Vergeblich. Der
Pastor lud sie ein, in der warmen Kirche auf den nächsten Bus zu warten, der
erst in 45 Minuten kommen sollte. Sie setzte sich in eine der Bänke und
achtete nicht auf den Pastor, der inzwischen eine Leiter und Werkzeug holte.
Nachdem er die Tischdecke an der Wand befestigt hatte, staunte er, wie herrlich
sie aussah und wie gut sie die hässlich Stelle überdeckte.
Dann bemerkte er plötzlich, dass die Frau durch den Gang nach vorn kam. Ihr
Gesicht kreidebleich. „Pastor“, fragte sie, „woher haben Sie denn diese
Tischdecke?“

Als der Pastor es ihr erklärt hatte, bat ihn die Frau, in der unteren Ecke
nachzusehen, ob dort die Initialen EBG eingestickt waren. Tatsächlich, es
waren ihre Initialen!
Vor 35 Jahren hatte sie die Tischdecke in Österreich gestickt.
„Ich kann es kaum fassen, dass Sie nach so vielen Jahren gerade hier an meine
Tischdecke gekommen sind“, rief sie aus.
Dann erzählte sie ihm, dass sie und ihr Mann vor dem Krieg in Österreich
gelebt hatten. Als die Nazis kamen, musste sie das Land verlassen. Ihr Mann
sollte eine Woche später folgen. Doch sie wurde gefasst, ins Gefängnis
gesteckt und sah ihren Mann und ihr Haus nie wieder.

Der Pastor wollte ihr das Tischtuch zurückgeben, aber sie bat ihn, es für die
Kirche zu behalten. Dann beharrte er darauf, sie nach Hause zu fahren. „Das
ist das Mindeste, was ich für Sie tun kann“, versicherte er. Also brachte er
sie in ihre Wohnung in einem anderen Stadtteil. Nur an diesem Tag war sie in der
Gegend der Gemeinde gewesen, um zu putzen.
Am Heiligabend erlebte die Gemeinde einen herrlichen Gottesdienst. Die Kirche
war fast voll, die Musik und die Atmosphäre waren großartig. Am Ende des
Gottesdienstes wünschten der Pastor und seine Frau am Ausgang allen ein
gesegnetes Fest, und viele sagten, dass sie wiederkommen würden.
Als die anderen Besucher gegangen waren, blieb ein älterer Mann aus der
Nachbarschaft mit starrem Blick in der Kirchenbank sitzen.
Der Pastor wunderte sich, warum er nicht aufbrach. Schließlich fragte der
Mann:

„Wo haben sie denn diese Tischdecke her, die dort an der Wand hängt?“
Und er fuhr fort: „Sie sieht genau aus wie eine Tischdecke, die meine Frau
vor vielen Jahren gemacht hat, als wir noch in Österreich lebten. Wie kann es
nur zwei so ähnliche Tischdecken geben?“

Dann erzählte er, wie die Nazis gekommen waren und er seine Frau gedrängt
hatte, sich in Sicherheit zu begeben. Eigentlich hatte er ihr kurz darauf
folgen wollen, aber dann war er verhaftete und ins Gefängnis gesteckt worden.
In den vergangenen 35 Jahren hatte er seine Frau und sein Haus nicht wieder
gesehen.

Der Pastor bat den Mann, eine kleine Fahrt mit ihm zu machen. Sie fuhren in
einen anderen Stadtteil – zu demselben Haus, zu dem der Pastor drei Tage
zuvor gefahren war.

Er half dem Mann die Treppe hinauf in den dritten Stock bis zum Apartment der
Frau, klopfte an die Tür – und er erlebte das herrlichste
Weihnachtswiedersehen, das er sich je vorstellen konnte.


Eine wahre Geschichte – erzählt von R. Reid (aus: Lydia)

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